Mittwoch, 4. Juli 2012

Markus Orths: Lehrerzimmer

Studienassessor Kranich, Englisch, Deutsch, meldet sich zum Dienst. Gleich am ersten Tag wird er von seinem neuen Schulleiter kräftig in die Zange genommen. Oberstudiendirektor Höllinger fordert Residenzpflicht ein und wundert sich, dass Kranich dieser nicht schon von selbst nachgekommen ist. Schließlich wisse er doch schon seit zwei Wochen von seiner Anstellung in Göppingen. Außerdem bemäkelt er Kranichs Gesprächsführung im Unterricht (er hat sich eine Videoaufzeichnung einer seiner Lehrproben angesehen und analysiert) sowie seine Vornoten. Auch seine mangelnde Bereitschaft, im ersten Berufsjahr eine Klassenleitung zu übernehmen kommt zur Sprache.
Man ahnt schon, wie es weitergeht, aber es kommt alles noch viel schlimmer: Die kommenden Tage entwickeln sich für den Junglehrer zu einer Achterbahnfahrt bei der es immer nur steil bergab geht. Das Kollegium entpuppt sich als Panoptikum von gescheiterten Existenzen, die Schule als ausgeklügelte Bespitzelungsmaschinerie, und immer wenn man denkt "Noch schlimmer kann's aber jetzt nicht werden!" setzt Orths noch einen drauf.

Markus Orths hat selbst als Lehrer gearbeitet, bevor er sich ganz der Schriftstellerei verschrieb. Er weiß also, wovon er schreibt. Und so lernt man in diesem brillanten satirischen Roman den Lehrerberuf einmal aus einer anderen als der ewig gleichen Feuerzangenbowlen-Sichtweise eines ehemaligen Schülers kennen. Hier schreibt ein Insider, der alle Aspekte unseres Berufes aus eigener Anschauung kennt. Methodenfeuerwerke übereifriger Referendare, Raumpiraterie und Schlüsselklau habe ich schon öfter erlebt, als man sich als Außenstehender vorstellen kann. Auch pingelige Lehrbuchbewacher, bürokratisches Verwaltungspersonal oder kafkaeske Besuche durch die Schulaufsichtsbehörde kennt jeder meiner Kollegen. Zwar ist dies hier alles ziemlich überspitzt dargestellt und zeitlich stark verdichtet, aber im Prinzip gibt es solche Typen und Situationen durchaus. Gottseidank nicht so geballt, wie an dem im Roman dargestellten Gymnasium.

Ein zum Brüllen komisches Buch, das zu lesen ich uneingeschränkt empfehle. Auch meinen Kolleginnen und Kollegen! Nehmen Sie sich ein Beispiel an mir, meine Damen und Herren: Ich habe es inzwischen zum dritten Mal in mich hineingefressen.

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