Dienstag, 26. Juli 2016

Frau Freitag: Für mich ist auch die sechste Stunde

Überleben unter Schülern

Seit nunmehr sieben Jahren bloggt unter dem Pseudonym "Frau Freitag" eine Berliner Lehrerin Alltägliches und alltäglich Wahnsinniges. Sie schreibt Geschichten auf, wie sie einem Lehrer nun einmal passieren, vor allem an einer Brennpunktschule in Berlin. Sie berichtet aber auch ganz private Geschichten vom alltäglichen Scheitern. Sie tut das ohne Mitleid zu erwarten und ohne um Beifall zu betteln. Die Geschichten sprechen für sich, sind rühren an oder sind komisch, manchmal auch ein Wenig erschreckend. Und ab und zu fasst sie einige thematisch verwandte Blogeinträge im Zusammenhang mit Pädagogik zu einem Buch zusammen. Diese haben inzwischen an Studienseminaren den Status von Lehrbüchern, denn sie vermitteln so viel mehr alltagstaugliches Handwerkszeug als die Werke der gefeierten Pädagogikpäpste, die selber schon seit Jahrzehnten keine Schule mit Schülern mehr von innen gesehen haben. Ein unterhaltsames und auch lehrreiches Buch, aus dem ich mir eine Menge abschauen konnte, obwohl ich meinen Beruf ja auch nicht erst seit gestern ausübe. Wieder einmal bin ich dankbar, in einem Gymnasium im beschaulichen Neustadt unterrichten zu dürfen und nicht in einer Brennpunktschule einer Großstadt.
Lesen, und zwar unbedingt und sofort.

Sonntag, 24. Juli 2016

Ralf König: Porn Story

Mit sozialethisch desorientierenden Abbildungen von Mahler

Eberhard Schlüter organisiert als Geburtstagsgeschenk für seinen besten Kumpel Fritte die Teilnahme an einem Pornodreh. Die beiden Hormonbolzen reagieren sich so richtig ab, maskiert, wie sich von selbst versteht. Der Film wird durchaus erfolgreich und landet in allen Videotheken. Jahrzehnte später, Eberhard hat inzwischen selber einen Sohn, holt ihn diese Vergangenheit wieder ein. Er hat, und hatte auch damals schon, eine unverwechselbare Tätowierung an markanter Stelle. Seine Frau erkennt ihn daran in dem Film wieder und macht ihm nun die Hölle heiß. Soweit die eher banale Rahmenhandlung. Doch dieses gewohnt liebevoll gezeichnete Comicbuch ist weit mehr. Anhand exemplarischer Lebensgeschichten setzt sich der Autor mit dem Phänomen Pornografie auseinander. Was treibt Männer dazu, sich die Bilder und Filme von Nackten gleich gigabyteweise auf die Computerfestplatte zu schaufeln bzw. kistenweise DVDs, VHS-Kassetten oder Super-8-Filme zu sammeln. Warum haben sich italienische Kaufleute in der Renaissance Ölgemälde leicht bekleideter Damen an die Wände gehängt, warum ließen sich römische Edle mit obszönen Mosaiken das Bad fliesen oder warum formten in der jüngeren Altsteinzeit (vermutlich männliche) Hände die Venus von Willendorf?
Alice Schwarzers Sichtweise der Dinge ist bekannt. Ob sie nach ihrer Steueraffäre noch für sich in Anspruch nehmen darf, eine moralische Instanz zu sein, darf bezweifelt werden. Nun äußert sich ein Autor zu diesem Thema, der eine ganz andere Blickrichtung hat. Eine zweifellos männliche Perspektive, aber ob seiner Homosexualität zumindest gegenüber der heterosexuellen Pornografie eher neutral. Interessant ist das auf jeden Fall. 
So ganz nebenbei dokumentiert Herr König auch noch in einer Art "making of" die Entstehung dieser Comic-Kollaboration zwischen ihm und dem Zeichner Mahler. 
Kein Kinderbuch, aber lesenswert. Alle verfügbaren Daumen nach oben.
Lesen, und zwar unbedingt und sofort!

Montag, 18. Juli 2016

Dennis Gastmann: Mit 80.000 Fragen um die Welt

"Ein Reporter reist mit Zuschauerfragen um die Welt.", und ein großer, unbenannt gebliebener Fernsehsender aus Norddeutschland bezahlt. So hatte er sich das fein ausgedacht, der Herr Gastmann. Leicht verdientes Geld und dazu noch Weltreise und Spesen. Aber er hatte nicht mit Frau Brunkhorst gerechnet. Wilma Brunkhorst lebt in einem kleinen Dorf in der Nähe von Hamburg, ihre gute Stube ist eingerichtet in Eiche brutal und sie isst gerne gute Butter. Über soziale Medien hatte der Journalist schon hunderte Zuschauerfragen gesammelt wie "Kann man im Vatikan Kondome Kaufen?" oder "Wie schön ist Panama?". Und jetzt schickt ihn sein Sender noch zu Frau Brinkhorst, die keine sozialen Medien verwendet, aber auch Zuschauerin ist. Und die Welt vielleicht anders sieht als ein pickliger Nerd, der den ganzen Tag vor seinem Rechner abhängt und 1000 Freunde bei Facebook hat. Frau Brunkhost gibt ihm noch ein paar Fragen mit auf den Weg, die sich der Autor in Zeiten der political correctness kaum zu stellen wagt: "Warum ist der Neger schwarz?" oder "Ist der Franzose wirklich so schmutzig, wie es manche Leute im Dorf behaupten?", um nur zwei Beispiele zu nennen.
Was nun folgt ist ein wahres Roadmovie, wie man es von Herrn Gastmann gewohnt ist: Sprachlich brillant und manchmal etwas schnodderig erzählt der Reporter vom Ku-Klux-Klan-Chef, bei dem er sich persönlich danach erkundigt hat, ob der denn auch schwarze Freunde hat. Er nimmt uns mit auf seine Fahrt mit dem Beschneidungszug durch Istanbul und erkundigt sich nach der Notlage der Niederlande, und zwar bei Frau Antje persönlich.
Ein überaus unterhaltsames Buch, das ich bedingungslos empfehle. Fragt sich nur, was ich als Nächstes lesen kann, jetzt, wo ich doch die wunderbaren Bücher des Herrn Gastmann alle in mich hineingefressen habe.

Lesen, und zwar unbedingt und sofort.

Montag, 11. Juli 2016

Dennis Gastmann: Der Gang nach Canosssa

Dennis Gastmann schnürt in seiner Hamburger Wohnung sein Bündel und begibt sich auf den Spuren Heinrich des vierten auf den Weg. Nach Canossa. Zu Fuß.
Wer jetzt eine Pilgerreise mit Blood, Sweat and Tears erwartet, wird sicher nicht enttäuscht, denn auch das kommt vor, wenn man die Alpen auf zwei Beinen überquert. Im Mittelpunkt der äußerst vergnüglich zu lesenden Erzählung stehen jedoch vor Allem die vielen Begegnungen mit den Menschen auf dieser Wanderung: Zufallsbekanntschaften, Herbergsbesitzer, Wanderführer oder sonstige temporäre Weggefährten. In seinem unnachahmlichen, ironisch-lakonischen Stil schlägt Gastmann den Leser bereits bei der ersten dieser Begegnungen (Herr Römer aus der Nachbarwohnung) in seinen Bann und lässt uns nicht mehr los bis zum Castello Canossa.
Ein tolles Buch! Lesen, und zwar unbedingt und sofort!

Samstag, 2. Juli 2016

Dennis Gastmann: Geschlossene Gesellschaft

Auch für dieses Buch unternimmt Herr Gastmann eine für den Leser vergnügliche Reise. Dieses Mal jedoch fährt er auf einen anderen Planeten. Den Planet der Superreichen. Der befindet sich zwar auf der Erde, unterscheidet sich aber derart von der Welt wie wir sie kennen, dass man hier durchaus von einem Paralleluniversum sprechen kann, einer Art"Erde zwei". Wie lebt es sich, wenn Geld keine Rolle mehr spielt. Welche Sorgen hat man, wenn man sich um nichts mehr sorgen muss? Welche Ziele hat vor Augen, wer bereits alles erreicht hat?
Sprachlich ein Hochgenuss - unbedingt lesen, und zwar sofort!